zamus: early music festival - Interview mit Ira Givol und Melanie Froehly

zamus: early music festival - Interview mit Ira Givol und Melanie Froehly

Das “zamus: early music festival” des Kölner Zentrums für Alte Musik (zamus) gibt von Freitag, 20. Mai bis Samstag, 28. Mai Einblick in die Vielfalt der innovativen Aufführungsformate und Interpretationsansätze innerhalb der Bewegung für Historisch Informierte Aufführungspraxis (HIP). Im Interview mit Egbert Hiller erläutern Mélanie Froehly (Geschäftsführerin zamus) und Ira Givol (Künstlerischer Leiter zamus: early music festival) Grundüberlegungen, Hintergründe und Schwerpunkte des Programms und gehen auf neue Entwicklungen und Perspektiven in Szene und zamus ein.

 

„Wir möchten die Künstler:innen und Werke präsentieren, die uns besonders berühren und in den Bann ziehen“

Wo liegen die inhaltlichen Schwerpunkte des zamus: early music festival 2022? Was für Anliegen und Vorstellungen verbindet ihr mit dem Programm? 

Ira Givol: Wir haben neun bunte Festivaltage konzipiert, mit internationalen Gruppen und den Mitgliedern des zamus, die ja selbst international aktiv sind. Zwei lieb gewonnene Traditionen werden fortgeführt: unser zamus: early music marathon mit sechs Konzerten an einem Tag und die Einbeziehung unseres Musikvermittlungsprojekts zamus: academy. Auch werden wir wieder, wie in den vergangenen Jahren, eine große Eigenproduktion zeigen – eine Musiktheatershow zum Festivalabschluss, die in Kooperation von zamus: kollektiv, einem Ensemble aus Mitgliedern des zamus, und dem Kunstkollektiv „Honolulu Star Productions“ entsteht. 

Ich bin sehr stolz darauf, dass die meisten Konzerte speziell für das Festival entworfen wurden, unter Berücksichtigung unseres Festivalthemas „Evolution“, so dass das Publikum ein einzigartiges Erlebnis haben wird. Als ich als Künstlerischer Leiter anfing, schwebte mir vor, bei der Programmgestaltung der Festivals zwischen zwei Schwerpunkten hin und her zu pendeln: in einem Jahr ein tieferer philosophischer Ansatz und im nächsten Jahr mehr spielerische Unterhaltung. Allerdings hat die Corona-Pandemie das imaginäre Pendel aus dem Gleichgewicht gebracht, aber wir haben trotzdem versucht, diesen Rhythmus beizubehalten. Daher ist das diesjährige Festival eher auf der philosophischen Seite.

Mélanie Froehly: So ein Festivalprogramm funktioniert nur mit viel Vertrauen, Arbeit und Leidenschaft. Die Ensembles arbeiten sehr engagiert, und ihre Konzepte sind spannend und ungewöhnlich. Und wir vom zamus versuchen so gut wie möglich, den Bedürfnissen der verschiedenen Ensembles gerecht zu werden. Sehr glücklich bin ich darüber, dass das Ensemble THE PRESENT das Festival eröffnet, denn es verknüpft Musik mit Philosophie, und wir hatten die Chance, ein Jahr lang mit dieser Formation im Rahmen unseres Nachwuchsförderprogramms zamus: advanced zu arbeiten. Das war für das Ensemble und für uns eine sehr fruchtbare Zeit. 

Auch freue ich mich sehr auf das Konzert mit dem Capriccio Stravagante Renaissance Orchestra und seinem Leiter Skip Sempé, der nur selten in Deutschland auftritt, obwohl er in der Alte-Musik-Szene eine wichtige Figur ist. Sehr am Herzen liegt mir auch die Kooperation mit der Hochschule für Musik und Tanz Köln sowie unsere zamus: academy. Wir werden nicht nur sehr vielfältige Programme haben, sondern auch unterschiedliche Generationen von Musiker:innen zusammenbringen, die in Köln gemeinsam arbeiten. Wir möchten die Künstler:innen und Werke präsentieren, die uns besonders berühren und in den Bann ziehen.

Der Begriff der Evolution bildet ja den Kern des Festivals und wird von den beteiligten Künstler:innen und Ensembles vielfältig aufgegriffen. Was erhofft ihr euch von der Auseinandersetzung mit dem Spannungsverhältnis zwischen schöpferischer Inspiration, Intuition und dem Phänomen der Evolution? 

IG Mich fasziniert das Thema „Evolution“ auf mehreren Ebenen, und ich freue mich, dass die eingeladenen Künstler:innen meinem Impuls gefolgt sind und viele spannende Ideen dazu entwickelt haben. Dadurch entsteht auch eine schöne Verbindung zwischen den Konzerten. Einige Ensembles versuchen, lineare zeitliche Verläufe darzustellen, entweder in der Entwicklung der Instrumente wie bei Flautando Köln und dem Schwanthaler Trompeten Consort, oder in der Musik selbst, zum Beispiel bei Hermann Max und der Rheinischen Kantorei. Andere beschäftigen sich mit einzelnen Stücken, so Skip Sempé in seinem Konzert mit John Dowlands „Lachrimae“ und Rainer Zipperling mit Bachs dritter Cello-Suite. 

Und das Ensemble THE PRESENT untersucht an unserem Eröffnungsabend den Zusammenhang zwischen Musik, Sprache und Evolution. Wir werden dieses Thema auch in den Mittelpunkt eines wissenschaftlichen Symposiums stellen, das während des Festivals stattfindet und in dem wir nachspüren wollen, ob wir bei Musik überhaupt von evolutionären Prozessen sprechen können. 

„Nachspüren, ob wir bei Musik von Evolution sprechen können“

Bruce Haynes sprach in seiner für das Verständnis von historisch informierter Aufführungspraxis wesentlichen Publikation „The end of early music“ davon, dass eine Aufführung vom Vortag bereits als „historisch“ angesehen werden müsste. Ihr greift das indirekt auf, indem ihr Scheuklappen gegenüber zeitgenössischer Musik abgelegt habt. Es ist inzwischen eines der Markenzeichen des zamus: early music festival, auch Zeitgenössisches einzubinden. Was versprecht Ihr euch davon und welche Entwicklungslinien ergeben sich daraus womöglich für die Zukunft des Festivals? 

„Türen in unbekanntes Terrain öffnen“

MF Ich glaube, man darf nicht vergessen, wie die Alte-Musik-Bewegung entstanden ist. Unsere zamus-Mitglieder und Künstler:innen waren und sind die Avantgarde der historisch informierten Aufführungspraxis (HIP). Sie haben sich für Instrumente, Werke und Spieltechniken eingesetzt, die bis dato kaum im Fokus standen und auch an den Musikhochschulen außen vor waren. Viele kennen sich auch sehr genau mit Neuer Musik und Elektronik aus und sind in unterschiedlichen Szenen unterwegs. Gerade die jüngere Generation experimentiert mit innovativen Techniken und Aufführungskonzepten, die auch aus der Neuen Musik stammen. Es geht uns darum, Türen in unbekanntes Terrain zu öffnen, um neue klanglich-musikalische Erfahrungen zu ermöglichen.

IG Wir versuchen im zamus die Verbindung von Geschichte und Gegenwart voranzutreiben. Heutzutage ist es zwar in Mode gekommen, moderne Musik mit Alter Musik zu kombinieren, aber das tangiert uns nicht. Ich glaube wirklich, wenn wir verschiedene Arten von Musik miteinander konfrontieren, dann lernen wir etwas Neues über die Musik und über uns selbst. Was ist überhaupt modern und was nicht? Ich denke, das ist eine philosophische Frage, die mit unserem Festivalthema „Evolution“ eng verbunden ist. Die Antworten darauf sind jedenfalls komplexer als die bloße Orientierung an Entstehungszeiten und stilistischen Kriterien. Ich glaube, wir berühren mit unserem Festivalthema zentrale kulturgeschichtliche Phänomene. 

In das diesjährige Festival ist die zamus: academy unmittelbar einbezogen. Gibt es direkte Berührungspunkte zum Festivalprogramm bzw. was für Wechselwirkungen zwischen zamus: academy und Festival strebt ihr an? 

IG Das Projekt zamus: academy wurde 2020 als Bildungsprogramm konzipiert, das an das Festival angedockt ist. In diesem Jahr steht es in direkter Verbindung zu unserem Symposium und dem Thema Evolution. Neben einem Konzert beim Festival werden die beiden Referent:innen Clara Blessing und Leonard Schelb im Rahmen des Symposiums einen Vortrag über die Unterschiede zwischen HIP und dem traditionellen Lehren und Lernen halten. Meine Hoffnung ist, dass HIP vielleicht den nächsten Evolutionsschritt in der Musikpädagogik markieren wird. 

HIP ist in der Musikszene immer noch ein viel diskutiertes Thema, das ja stets im Wandel ist. Gibt es aus eurer Sicht aktuelle Denkanstöße auf diesem Feld, die mit dem Festivalprogramm korrespondieren? 

„Grenzen verschieben und neu definieren“

MF Es wäre sehr langweilig, wenn darüber nicht mehr diskutiert werden würde. Der Kern von HIP ist doch, sich zu fragen, wie, wann, wo und warum ein Stück entstanden und gespielt wurde und wie man heute damit umgeht. Ich tue mich schwer mit dem Begriff „Originalklang“, weil es meiner Meinung nicht darum geht, einen verlorenen Klang wiederzufinden, sondern es handelt sich um einen Prozess der Reflexion und Hinterfragung von Gewohntem und Überkommenem. HIP ist nicht statisch, sondern birgt das Potenzial, Grenzen zu verschieben und neu zu definieren. Unser Festival ist gedacht als ständige Bewegung, in der sich spannende Diskurse entfalten und permanenter Austausch stattfindet.

IG Wenn man das Publikum fragen würde, ob es denkt, dass die Aufführung, die es gerade erlebt hat, historisch informiert war oder nicht, dann glaube ich, dass es für die Allermeisten keinen großen Unterschied macht. Die Menschen wollen überwiegend, mich eingeschlossen, einfach nur eine gute „Geschichte“ hören, ob „informiert“ oder „nicht informiert“. Wir müssen immer bedenken, dass HIP nur ein Werkzeug und nicht das Ziel ist, das Ziel ist selbstverständlich ein gutes Konzert. Ich glaube, dass die neue Generation von HIP-Musiker:innen das versteht und keine Angst davor hat, in einem HIP-Konzert auch andere „Zutaten“ einfließen zu lassen.

„Die Menschen wollen eine gute Geschichte hören“

Im zamus stehen ja größere räumliche Veränderungen bevor. Was bieten sich da aus eurer Sicht für Chancen? 

MF Wir sind schon seit 10 Jahren in der Rheinlandhalle in Köln-Ehrenfeld und freuen uns sehr, dass jetzt endlich eine dauerhafte Lösung für unseren Standort gefunden ist. Wir sind sehr glücklich, dass wir das zamus erweitern, umbauen und sanieren können und dass wir für unsere Arbeit passende Räumlichkeiten bekommen. Das ist ein bedeutsamer Schritt für die Kultur insgesamt. Es ist sehr wichtig, die Alte-Musik-Szene und die freie Szene überhaupt mit Infrastrukturmaßnahmen – Räume, Instrumente, Übernachtungsmöglichkeiten – zu unterstützen, vieles wird dadurch erst möglich. Wir waren drei Jahre lang intensiv mit dem Planungen beschäftigt, und das war ein spannender Prozess, an dem viele Akteure mitgewirkt haben: die Stadt Köln, das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW, Mitglieder der Kölner Gesellschaft für Alte Musik, das Architekturbüro Jocks Planungen, die Immobilienfirma Bauwens und der WDR, dessen legendäres Studio für Elektronische Musik ja ins zamus integriert wird und wieder ein lebendiger Ort für künstlerische Forschung werden soll. So viele Menschen haben sich für das zamus engagiert, und ich hoffe sehr, dass die Künstler:innen sich auch in Zukunft bei uns frei, wohl und unterstützt fühlen, dass sie sich auf ihre Projekte konzentrieren können und wir sie dabei begleiten dürfen.

Gibt es bereits Pläne für die Nutzung der neuen Räume? Wird das zamus: early music festival demnächst mehr Konzerte im eigenen Haus ausrichten und weniger andere Orte in der Stadt bespielen, was ja organisatorisch womöglich eine Erleichterung wäre? Und wo soll das zamus in, sagen wir, zehn Jahren, stehen? 

MF Es ist großartig, den Musiker:innen und dem Publikum künftig im zamus selbst ein Konzertambiente bieten zu können, in dem sie sich gut aufgehoben fühlen. Dazu kommen verbesserte Rahmenbedingungen für die Probenarbeit, den Austausch mit dem Publikum, das Zeigen von Instrumenten und und und ... Ich denke, in zehn Jahren wird das zamus als Musikzentrum noch stärker international ausgerichtet sein. Mit der räumlichen Erweiterung, dem neuen Kammermusiksaal etc. haben wir, glaube ich, alle Möglichkeiten, uns als Leuchtturmprojekt der Alten Musik weiterzuentwickeln. Köln hat so viele Musiker:innen und Ensembles, und zu den nächsten Schritten zählt, ein noch größeres Publikum anzusprechen.

Das Interview führte Egbert Hiller